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Karriere in der Energiebranche für Techniker

Der Begriff »Blackout« hat einen bedrohlichen Beigeschmack erlangt. Was lässt sich tun, dass er verhindert wird?

Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Stand Juni 2022: Acht Einwohner. Wohl selten zuvor hat eine so winzige Ansiedlung so große Wellen geschlagen. Bald schon wird wohl niemand mehr dort wohnen, denn Lüzerath soll dem Erdboden gleich gemacht werden, damit der Braunkohle-Tagebau Garzweiler ausgeweitet werden kann. Klimaaktivisten protestieren seitdem gegen den Abriss des Dorfes mit dem Hashtag #lützibleibt. Die Protestler weigern sich, die Siedlung für eine ihrer Meinung nach antike Energiequelle wie die Braunkohle aufzugeben.

409 Kilometer Luftlinie weiter. Wunsiedel im Fichtelgebirge. Stand Dezember 2021: 9177 Einwohner. Die Stadt gilt als eine Vorreiterin in Sachen nachhaltiger Energie und könnte diesbezüglich eine Blaupause für ganz Deutschland sein. Nicht nur ist sie in ihrer Energieversorgung autark, sondern produziert sogar mehr Strom, als gebraucht wird. Seit Sommer 2022 beheimatet Wunsiedel ein eigenes Kraftwerk für grünen Wassserstoff und plant bald den Bau einer H2-Tankstelle.

Zwei Orte, zwei Lösungen für unsere Energie. Kaum ein anderes Jahr wie dieses dreht sich so um die Frage: Wo kommt bald unsere Energie her?

Eine Sichere Sache

Bei Ingenieuren ist die Lage ja zunächst recht eindeutig: Elektroingenieure, Maschinen- und Anlagenbauer sind die Leute, welche die bestehenden Systeme am Laufen halten und zugleich neue Möglichkeiten zur Energiegewinnung entwickeln. Wie sieht es hingegen bei Informatikern aus? Wo können sich Programmierer und Data Engineers einbringen? Klar ist: Unser Stromnetz wurde in den letzten Jahren deutlich diverser. Während durch technische Optimierung viele elektrische Geräte sparsamer wurden, sind an anderer Stelle eine Menge neuer Stromfresser hinzugekommen. Man denke schon allein an die Vielzahl moderner Elektroautos. Um bei diesem zunehmend komplexen System den Überblick zu behalten, können Big Data Analysts einen wichtigen Beitrag leisten. Auch für die Sicherheit des komplexen Stromnetzes sorgen Informatiker. Sie verhindern, dass Hacker einen Blackout verursachen. Die Beteiligung der Informatiker am Energienetz erkennt man am besten daran, dass alles einschränkungsfrei funktioniert und sich niemand beim Betätigen des Lichtschalters Sorgen machen muss.

Spannende Skills 

Damit diese Versorgungssicherheit so bestehen bleibt, entscheiden sich glücklicherweise viele Informatiker bereits während ihres Studiums einen Schwerpunkt auf die Energieerzeugung zu legen – beispielsweise im Studiengang »Energieinformatik« an der Hochschule Ruhr-West. »Es gibt den Trugschluss, Energieinformatik sei eine Spezialisierung von Informatik«, erläutert Studiengangsleiter Prof. Gerd Bumiller. »Tatsächlich ist es aber das Gegenteil: eine Generalisierung. Man lernt etwas von Energietechnik bis Cybersecurity und Informatik.« Im Falle des Studiengangs an der HS Ruhr-West gebe es geteilte Module mit dem Wirtschaftsingenieur »Energiesysteme« und der »Angewandten Informatik« wodurch klar wird, wie interdisziplinär die Arbeit in der Energiebranche für Technikerinnen und Techniker ist. Studieninhalte mit denen man dabei auf jeden Fall rechnen sollte: Wärmetechnik, Chemische Energiespeicher und die Technik hinter elektrischen Energienetzen. Bumiller betont, wie wichtig der Einsatz von Informatikern in der Branche sei, erklärt aber auch, dass es eine wichtige Fähigkeit für ITler ist, die eigene Denkweise zu wechseln: »Als Programmierer ist man es gewohnt, bei einem Fehler einfach nochmal neu zu Schreiben und so lange zu Probieren, bis es funktioniert«, so der Studiengangsleiter. »In der Energiebranche würde ein Fehler Infrastrukturen zerstören.« Weiterhin empfiehlt Bumiller möglichst viel Praxiserfahrung schon während des Studiums zu sammeln. »Einen praktischen Versuch in einem Hochspannungslabor sollte jeder schon einmal gesehen haben. Auch Kommunikation spielt eine große Rolle, um im Ernstfall ein Energiesystem im Falle eines Blackouts schnell wieder hochzufahren.« Spannende Karrieremöglichkeiten sieht der Dozent im Bereich des Smart Meterings – also dem intelligenten und digitalen Ermitteln und Steuern von Energieverbrauch. Mittlerweile seien aber auch bei Infrastrukturbetreibern Informatiker sehr gefragt.

Weiter denken

Eigentlich sollte man meinen, die Möglichkeiten für eine Karriere in der Energiebranche seien generell grenzenlos. Wind- und Sonnenkraft sollen DIE Energieträger der Zukunft werden. Doch tatsächlich lässt sich feststellen, dass die Produktion technischer Anlagen immer öfter ins Ausland verlagert wird. Das gilt schon seit mehreren Jahren für die Photovoltaik und seit einiger Zeit auch für die Windenergie. Schätzungen zufolge seien in den letzten zehn Jahren etwa 60.000 Stellen der deutschen Windindustrie ins Ausland verlagert worden. Erst im Juni 2022 schloss der Hersteller »Nordex« sein Werk in Rostock, woraufhin 600 Mitarbeiter ihre Stelle verloren. Wichtig ist es daher auch, nicht nur den Herstellungs-, sondern auch den Innovationsstandort Deutschland immer weiter zu stärken und stets neue Möglichkeiten zur Energieerschließung zu schaffen. Schon seit vielen Jahrzehnten gibt es beispielsweise das Konzept der Meeresenergie. Vollständig ausgereift ist es bis heute nicht. Die Grundidee sieht dabei vor, Meereswellen aber auch die Bewegung durch die Gezeiten in Energie umzuwandeln. »Das Potenzial der Meeresenergie ist unvorstellbar hoch. Die Internationale Energie Agentur (IEA) beziffert es auf bis zu 80.000 Terawattstunden pro Jahr«, erklärt Alexander Nollau, Abteilungsleiter Energy bei der Deutschen Komission Elektrotechnik Elektronik (DKE). »Die Herausforderungen liegen in der geografischen Gegebenheit der einzelnen Länder. Das Nordseegebiet in Deutschland ist zu flach und die Strömungen nicht stark genug. Daher ist der Ausbau noch nachrangig. Des Weiteren sind die Projektkosten noch höher, im Vergleich zu Wind und Photovoltaik, das liegt aber natürlich auch daran, dass viele Entwicklungen noch im Forschungsstadium sind.« Damit das nicht so bleibt, sind auch Forschungsinstitute eine denkbare Karriereoption für alle, die die Möglichkeiten erneuerbarer Energien erweitern wollen: Sei es bei noch unkonventionellen Methoden wie der Meeresenergie oder Techniken auf dem Vormarsch wie die Nutzung von Wasserstoff. Ingenieure und ITler können dazu beitragen, diese wirtschaftlich und omnipräsent nutzbar zu machen – nicht nur in Wunsiedel, sondern überall. So lässt es sich vielleicht schon bald vermeiden, dass um Siedlungen wie Lützerath gebangt werden muss.


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